Das Feuer des Mondes

Ein phantastisch rätselhaftes Spielbuch

Mit „Feuer des Mondes“ hat der Mantikore Verlag Ende letzten Jahres sein zweites verlagseigenes Spielbuch publiziert. Bereits das äußerst ambitionierte Erstlingswerk „Reiter der Schwarzen Sonne“ hatte vollen Erfolg, konnte zahlreiche Preise abräumen und kann vielleicht sogar als das beste Spielbuch seiner Zunft gelten. Das Feuer des Mondes wurde nicht ganz so vollmundig angekündigt wie der Reiter, brauch aber den Vergleich mit anderen Spielbüchern nicht zu scheuen…

Die Welt

Die Brüder Christian und Florian Sussner haben einiges an Recherchearbeit in die Welt ihres Buches gesteckt. Die Bibliographischen Hinweise am Ende des Buches weisen auf Vorlagen von nordischer Mytholgie über die Gebrüder Grimm und Goethe bis zu Stephen King und Blizzard Entertainment hin. Die Inspirationsquellen sind durchaus interessant und fügen sich gut in das Buch ein, die damit suggerierte Tiefe merkt man aber nicht immer. Vielmehr spielt das Feuer des Mondes in einer relativ bekannten und angenehm beschaulichen Fantasywelt. Unser Startpunkt ist Waldheim, das an einer Handelsstraße liegt die nach Krehlheim und Sagiriton führt. Außerdem werden die sagenumwobenen Wälder Fei (im Süden) und Kalrir (im Norden) noch eine Rolle spielen. Zuerst sind uns – beziehungswiese unserem Charakter – all diese Orte eher vom Hörensagen bekannt. Statt ein großer Held oder ein von Amnesie geplagter Unbekannter zu sein, sind wir nämlich ein bodenständiger Nachtwächter. Zumindest für ein paar Abschnitte dürfen wir uns also in der dörflichen Idylle Waldheims heimisch fühlen, bis… nunja, bis wir natürlich doch durch eine erschreckende Begegnung in tiefere Geheimnisse eingeführt werden. Eine unangenehme Berührung wird uns nämlich ein Stigma verpassen, das uns unwiderruflich auf den Weg eines Abenteurers leitet. So lernen wir recht schnell, dass es selbst in unserem beschaulichen Dorf konkurrierende Geheimbünde gibt und Magie mehr ist als eine leere Sage. Ohne zu viel zu verraten, werden wir auf eine Reise in die weitaus bedrohlicheren Wälder geschickt um jeweils einem Geheimnis nachzuforschen…

In diesen Wäldern wird der idyllische Ton etwas dunkler. Wir treffen auf viele verschiedene, meist bedrohliche, manchmal märchenhafte Gestalten. Da wären die mysteriösen Fei, aber auch Waldtrolle, Gestaltwandler, mächtige Dämonen und bissige Wildtiere – ganz zu schweigen von den Häschern die uns folgen.

Die Welt funktioniert für ein Spielbuch ausgezeichnet. Die drei Orte bieten viel Abwechslung und gerade der mystische Charakter der beiden Wälder ermöglicht es zahllose interessante Szenen zu erzählen die immer wieder für Überraschungen sorgen. Gleichzeitig fehlt etwas der Zusammenhang der Welt. Feuer des Mondes konzentriert sich mehr auf die unmittelbaren Begegnungen als auf große politische Intrigen, wiederkehrende Fraktionen (bis auf die zentralen Geheimbünde) oder eine tief gehende Mythologie die dem Buch zu Grunde gelegt wird. Das ist nicht unbedingt eine Schwäche und kann bei einem potentiellen Folgeband durchaus noch ergänzt werden, das Gefühl in eine fremde plausible Welt einzutauchen kommt aber nicht ganz auf.

Entdeckungsreise

Die Geschichte unseres Nachtwächters teilt sich in drei jeweils einzeln durchnummerierte Bücher auf. Während wir unsere Zeit im ersten und mit 150 Abschnitten kürzesten Buch in Waldheim verbringen, geht es in den beiden folgenden Büchern in die beiden genannten Wälder, die je 200 Abschnitte umfassen. Ab und an kehren wir kurz in das erste Buch zurück, den größten Teil unserer Spielzeit verbringen wir aber in den Wäldern. Die sind uns genauso wie unserem Charakter völlig unbekannt. Wir haben ein paar Warnungen und Hinweise gehört, waren dort aber noch nie. Dementsprechend erkunden wir diese Orte erst mal, wobei wir ein Ziel vor Augen haben, dass sich jedoch nur über Umwege finden lässt.

Auf den Entdeckungsaspekt wurde viel Wert gelegt. Beide Wälder haben eine schön gestaltete (downloadbare) Karte verpasst bekommen, die wir intensiv nutzen sollten. Wir reisen nämlich ähnlich wie in den Legenden von Harkuna von Ort zu Ort und können die Abschnitte auch mehrfach besuchen. Um das Reisen komfortabler zu gestalten haben wir einen Portalring erhalten mit dem wir uns von einem Wegpunkt zu einem beliebigen (bereits bereisten) anderen teleportieren können. Die Nummer jedes Wegpunktes sollten wir daher auf der Karte vermerken, die dafür praktischerweise Leerstellen vorgesehen hat. Das Wegpunktsystem erspart Reisemarathons und das Vermerken der besuchten Orte erzeugt ein Erkundungsgefühl wie kaum ein anderes Spielbuch. Damit es nicht langweilig wird geschieht bei fast jedem Wegpunkt eine kleine Begegnung die beim zweiten Mal überlesen werden muss. Da wo es keine feste Begegnung gibt kommen Zufallsbegegnungen ins Spiel die primär stimmungsvolle Details vermitteln, nette aber nicht notwendige Hinweise für Rätsel oder andere kleinere Vorteile bringen. Auf Zufallskämpfe wurde zum Glück verzichtet.

Die Entdeckungsreise ist gut durchdacht, führt nicht in Sackgassen und unnötige Blätterei wurde nach Möglichkeit vermieden. Trotzdem kann es etwas mühsamer ausfallen als klassische lineare Spielbücher. So können wir an manchen Orten nicht in die gewünschte Richtung gehen und müssen umkehren, was doch zu manchen Doppelungen und etwas Blätteraufwand führt. Außerdem müssen wir uns grob merken wo wir schon waren. Schade ist dabei, dass Hilfsmittel wie Ankreuzkästchen oder eine Checkliste fehlt und wir die einzelnen Bücher so im besten Fall in einem Rutsch spielen sollten. Auch sonst ist die Reise anspruchsvoll, manche Hinweise werden abgefragt ohne dass wir sie explizit notieren sollten und das tricksen wurde auch schwer gemacht. Besonders gelungen ist hier z.B. das Ende des ersten Buches. Dort müssen wir verschiedene Objekte in einer bestimmten Reihenfolge aktivieren, wobei jedem Objekt eine Ziffer zugeteilt wurde. Wer die Hinweise nicht hat kann den passenden Abschnitt kaum finden. Wir sollten bzw. müssen den Wald also wirklich intensiv durchsuchen.

Ähnliche Rätsel finden sich immer wieder und sind erstaunlich einfallsreich. So müssen wir Zahlenreihen vervollständigen, Werte von genutzten Objekten addieren, Logikrätsel wie man Sie von Gollum und Bilbo kennt lösen und selbst optische Täuschungen haben ihren Weg ins Buch gefunden. Wenn es um Rätsel und Anspruch geht spielt das Feuer des Mondes seine große Stärke aus.

Wer jedoch ein schnelles oder gemütliches geradliniges Spielbuch sucht ist fehl am Platz. Ohne mitdenken, -rätseln und -schreiben kommt man hier nicht weit. Das Nachzeichnen der Karte, die vielen Notizen und das Würfelsystem das ohne Zufallszahlentabelle daherkommt erzwingt es fast das Spiel am Schreibtisch zu spielen. Für das Bett oder die Badewanne ist das Spielbuch nicht so recht geeignet.

Systemstärke und Strukturschwäche

Dass das Buch anspruchsvoll ist, heißt nicht dass das Buch unnötig sperrig ist. Die Regeln sind so beispielsweise angenehm einfach gehalten. Statt eine Vielzahl von kaum genutzten Fertigkeiten und Werten zu liefern kommt das Feuer des Mondes mit einem Hauptwert (Gewandtheit), der Lebensenergie, der sich im Spiel ändernden Menschlichkeit und seltenen dafür spürbaren Fertigkeiten aus. Die angewandten Regeln sind intuitiv und passen auf knappe drei Seiten. Da wo möglich werden Regeln direkt im Text erläutert. So werden Proben einfach jedes Mal ausformuliert und gehen leicht von der Hand. Letztlich wird eine bestimmte Anzahl an Würfeln geworfen und manchmal ein fester Bonus addiert und das Ergebnis mit der Gewandtheit verglichen. Ist der Wert kleiner war man erfolgreich.

Der Kampf läuft ähnlich ab. Hier addieren wir einfach 2W6 auf unsere Gewandtheit und vergleichen das Ergebnis mit der gegnerischen Kampfkraft. Kommen wir über diesen Wert fügen wir den Schadenswert der Waffe abzüglich etwaiger Rüstung an Schadenspunkten zu – wenn nicht, macht der Gegner das gleiche mit uns. Kleinere Sonderbedingungen wie Fluchtmöglichkeiten oder die Chance einen Bogen einzusetzen machen die Kämpfe abwechslungsreich, für meinen Geschmack sind sie aber für den sonstigen Stil des Buches etwas zu häufig.

Gelungener ist da die Menschlichkeit. Diese ändert sich mit unseren Entscheidungen und sollte die -5 nicht unterschreiten, da wir dann dunklen Kräften anheimfallen. Außerdem werden wir in manchen Abschnitten zu einer bestimmten Entscheidung gezwungen wenn wir eine gewisse Menschlichkeit über- oder unterschreiten. Wer sehr „unmenschlich“ ist wird dubiose Gestalten immer angreifen, wer sich bisher zumeist menschlich verhalten hat muss einer Verwundeten dafür helfen. Das funktioniert gut und ohne großen Verwaltungsaufwand und fügt sich überdies nahtlos in das Buch ein.

Die Regeln sind damit nicht sonderlich innovativ, funktionieren aber einwandfrei und relativ mühelos. Die einzige echte Schwäche liegt in der Struktur des Buches. So ist die Dreiteilung des Abenteuers zwar eine gute Idee, da aber auf einen Index am Buchschnitt (wie es ihn bei den Reitern der Schwarzen Sonne hab) verzichtet wurde, verläuft man sich manchmal im Buch. Auch die kurzen Regeln hätten meines Erachtens ruhig in einem Guss an den Anfang gesetzt werden können. Stattdessen wird man mehrmals an das Ende des Buches geschickt, wo sich auch die (übrigens sehr gelungenen) Ausbildungsrätsel, die Zufallsereignisse, die Bibliographischen Hinweise und die Karten finden, was den Komfort doch merklich schmälert. Zumindest ein Seitenregister wäre für eine Neuauflage also eine sehr große Hilfe. Ebenfalls Schade aber keine große Hürde ist, dass die Wegpunktmarkierungen auf der Karte nicht ganz deutlich sind und manche Hilfestellungen wie z.B. Ankreuzkästchen oder Codewörter fehlen. Da eine ausgleichende besonders innovative Idee fehlt ist das etwas schade, zumal es in anderen Produkten deutlich besser gelöst wurde

Fazit

Das Feuer des Mondes ist insgesamt ein solides Spielbuch das mich allerdings nicht ganz zu packen weiß. Die Handlung und die Charaktere sind gut, überraschen aber nicht wirklich. Die Entdeckungsreise ist gelungen umgesetzt, viele Ereignisse sind aber zusammenhanglos und wirken etwas surreal. Auch die Welt ist zumindest in Waldheim angenehmer weise etwas fröhlicher als manche andere Bücher, versprüht aber keinen wirklichen Esprit. Auch die zahlreichen Illustrationen erfüllen ihren Zweck und lockern den Text auf, wirken aber leider etwas grob.

Vergleicht man das Buch mit anderen Spielbüchern fehlt dem Mond etwas das Feuer. Wer eine epische Handlung sucht ist beim Einsamen Wolf besser aufgehoben, wer ein Open World Spielbuch sucht, wird bei Harkuna optimal bedient und wer ein in sich geschlossenes Meisterwerk spielen will ist beim Reiter der Schwarzen Sonne besser aufgehoben. Stark ist das Buch dafür bei den Rätseln und dem Anspruch an die Leserin. Wer mitdenken will, gerne rätselt und aus kleinen Hinweisen Schlüsse ziehen möchte ist beim Feuer des Mondes in besten Händen. Auch wer die meisten anderen Spielbücher bereits kennt oder sich auf abgeschlossene Bücher konzentriert sollte dem Feuer des Mondes eine Chance geben. Das Feuer des Mondes ist ein solides umfangreiches Spielbuch mit angemessen langer Spieldauer und ein paar interessanten Ansätzen. Dass es mich nicht gänzlich begeistern kann liegt neben bloßer Geschmacksfragen sicher nicht zuletzt an der hohen Messlatte die Mantikore selber gesetzt hat.

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