Warum ich Rollenspiele spiele…

Ein Gastartikel vom Chemiezwerg

Liebes Tagebuch,

Ich habe lange überlegt, ob und wie ich dir diese Geschichte erzählen soll. Aber es musste einfach mal raus:

Ich bin Rollenspieler.

Was sich so einfach sagt, ist in der Theorie meist schwer umzusetzen und in der Praxis sogar noch schwerer. Aber immer von vorne.

Ich spiele P&P-RPG´s seit meinem 18 Geburtstag, am PC sogar noch etwas länger. Rollenspiele faszinieren mich auf eine Weise, wie Autos oder Fußball manche Menschen fasziniert und begeistert. Ich kann stundenlang darüber diskutieren, interessiere mich für beinahe alle Formen und Farben des Genres, besuche Messen und Veranstaltungen und lese Romane und Fanfiktion über das Thema. So, wie das wohl jeder bei seinem größten Hobby könnte. Deswegen fällt es mir oft schwer, mit Menschen klarzukommen, die diesem Hobby in weniger starker Intensität nachkommen.

Ich kann diese Spieler im Grunde alle verstehen, aber es ärgert mich trotz allem immer wieder aufs Neue, dass die Dinge die mir wichtig sind nicht ernst genommen werden.

Dabei könnte es so einfach sein. Das schöne am P&P ist, das außer einem Stift, Papier und viel Fantasie nichts benötigt wird. Man kann es überall spielen, zu jeder Zeit und theoretisch an jedem Ort, an dem sich eine trockene Ablagefläche für die Bögen findet. Stift und Papier bringen die meisten Spieler noch zusammen. Beim Punkt „Fantasie“ scheitern die meisten leider.

Ob als Leiter oder als Spieler: Beim P&P bauen wir gemeinsam eine Welt, die in der gemeinsamen Fantasie entsteht und zeitgleich auch auseinander driftet. Wenn ich neuen Spielern das Prinzip „Shadowrun“, „DSA“ oder „P&P“ erklären will, dann sage ich oft Dinge wie: „der Spielleiter erzählt eine Geschichte und die Spieler agieren und reagieren durch Erzählung darauf.“ Was leider meistens in Vergessenheit gerät: Der Spielleiter gibt lediglich den Rahmen vor, erzählen dürfen die Spieler genau wie der Spielleiter zu gleichen Teilen. Oder sagen wir zu fast gleichen Teilen, da der Rahmen zwar immer vom Spielleiter und den Regelbüchern vorgegeben wird. Aber wie der Rahmen aussieht, das bestimmt der Spieler mit. Und auch, was den Rahmen füllt. Spieler können durch gezieltes nachfragen, ausschmücken der eigenen Handlungen u.ä. genauso eine Geschichte erzählen wie der Spielleiter. Eine ganz neue, in der sie selbst der Star sind. Wo selbst unbedeutende Handlungen im Kopf zum Blockbuster werden.

Im eigenen Kopfkino in der ersten Reihe sitzen und dem Produkt seiner Fantasie dabei zusehen, wie es zum Leben erwacht. Ich liebe diese Geschichten, denn das Ende ist nicht in einem Drehbuch vorgegeben und variiert binnen Sekunden. Und das geht dem Spielleiter genauso wie den Spielern.

Der Spielleiter hat lediglich die Aufgabe, eine Rahmenhandlung zu streuen und alle Spieler ins gleiche (oder zumindest in ein ähnliches) Kopfkino zu balancieren. Die besten Geschichten schreibt das Leben, also wäre es doch schade wenn nur einer schreiben würde.

Für mich sind P&P-RPG´s Freiheit.

Ok, es kommt auch oft eine Menge Müll dabei herum, dass lässt sich nun mal nicht vermeiden. Aber selbst schlechte Einfälle können zur Grundlage von guten werden, selbst wenn auf 100 schlechte Ideen 3 gute und davon 1 umsetzbare Idee kommen. Ich kann die Spieler nicht verstehen, die sich teils stundenlang mit anderen an einen Tisch setzen, nur um sich an Slapstick und Situationskomik zu erfreuen. Braucht es denn dafür ein P&P-RPG? Reicht da nicht auch ein Stammtisch oder ein paar Freunde und ein Kasten Bier? Das Wort „Rollenspiel“ setzt sich, wer hätte das gedacht, aus den Wörtern „Rollen“ und „spielen“ zusammen. D.h. man spielt eine Rolle, versetzt sich in die Rolle hinein, handelt und denkt wie die verkörperte Rolle und verhält sich im Optimalfall auch so. Menschen und gespielte Charaktere halten selten das große Ganze bis zum Schluss im Blick. Viele verlieren sich in Details, die erst bei näherem hinsehen ihre wahre Gestalt offenbaren. Lange einen Charakter zu spielen heißt nicht zwangsweise, auch eine andere Rolle zu spielen. Viele Spieler spielen einfach nur sich selbst in besser. Das Verhalten, die Denkweise, die Sprechweise: Alles weicht keinen Deut vom Original ab. Sie spielen einen Charakter, aber zeitgleich ohne selbigen und stellen sich hin und protzen mit ihren Erfahrungen im Rollenspiel, während sie selbst nur die äußerste Hülle dieser wunderbaren Sache ankratzen.

Und sie merken es nicht mal oder sind noch beleidigt, wenn man sie darauf hinweist. Das ist wohl wie bei den meisten Dingen im Leben: Manchmal muss man eben hinter die Fassade schauen, um wahre Schätze zu finden.

Und noch eine Sache, die ich wirklich Schade finde: Warum ist es manchen Menschen peinlich, dass sie Fantasie haben? Ich habe noch nie jemanden getroffen, dem es peinlich war, in der Öffentlichkeit über Fußball zu reden. Bei Rollenspielen sieht das offenbar andern aus.

Ich habe in meiner Bewerbung vor einigen Jahren „Rollenspiele“ unter „Hobbys“ angegeben. Warum werde ich auch nach Jahren noch immer gefragt, warum ich das getan habe? Die Antwort ist immer die Gleiche: Richtig erklärt, werden RPG´s zu einem Hobby wie Fußball, nur mit Vorteilen. Die Verletzungsgefahr ist kleiner, man zeigt Fantasie, Kreativität, Improvisationstalent, Teamgeist und viele von Arbeitgebern sehr geschätzte Eigenschaften. Warum sich für etwas schämen, was die meisten gar nicht kennen?

Nun denn, liebes Tagebuch. Das war ein kleiner Auszug zu meinem liebsten Hobby.

Bis bald,

ein hoffnungsvoller Spielleiter und Spieler

1 Kommentar zu Warum ich Rollenspiele spiele…

  1. Nun ja, ich denke, Du bist ein wenig unfair. Du musst davon ausgehen, dass Spieler, die nicht weit in ihre Rolle hinein kommen und sich selbst spielen, das nicht tun um Dich zu ärgern. Sie können es nicht anders. Und ich denke, das Spiel macht Ihnen dennoch Spaß. Dass sie beleidigt sind, wenn Du sie auf ihre oberflächliche Spielweise hinweist, ist doch klar. Sie können nicht anders und verstehen nicht, was Du von ihnen willst. Es hat lange gedauert, bis ich zu dieser Kenntnis gelangt bin. Aber hat man diese erst, stören solche Spieler viel weniger. Dennoch sollte man sie meiden, denn richtiger Spaß beim Spiel kommt mit solchen Spielern nicht auf.

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